Hunde sind soziale Lebewesen. Sie sind sehr feinfühlige, freundliche Wesen, die uns treu sind und die Fähigkeit besitzen, sich unwahrscheinlich gut anzupassen. Aber sie sind eben auch nicht dazu geboren um uns zu gefallen und sämtliche Dinge auszuführen, die wir von ihnen verlangen oder die Dinge zu unterlassen, die uns nicht in den Kram passen. Und davon gibt es bei dem ein oder anderen Exemplar reichlich, weil wir bei all den vielen Gemeinsamkeiten zwischen Mensch und Hund eben auch sehr unterschiedlich sind. So sind die Bedürfnisse eines Hundes in vielen Bereichen ganz andere, als die unseren.
Was das Leben mit unseren Hunden angeht haben wir natürlich Erwartungen. Wir möchten unsere Hunde möglichst überall mit hin nehmen, möchten, dass er nicht (negativ) auffällt, sich mit allem, was sich bewegt und lebt verträgt, viele Dinge erduldet und möglichst all das befolgt, was wir verlangen. Das liegt natürlich auch daran, dass wir ein möglichst stressfreies Leben mit unseren Hunden haben möchten und dem Hund dadurch auch viele Freiheiten bieten können. Ganz klar bin ich dafür, dass jeder Hund in möglichst vielen Situationen entspannt sein kann, dass er die Möglichkeit hat, möglichst viel Zeit mit seinen Besitzern zu verbringen und dass er keine Gefahr für andere Lebewesen ist. Lernt ein Hund, auf Ruf zu seinem Besitzer zu kommen kann man ihm die Freiheit bieten sich ohne Leine frei zu bewegen. Reagiert ein Hund gelassen in Anwesenheit fremder Leute und lauter Geräusche kann er mich zu einem Besuch begleiten und muss daheim nicht alleine auf mich warten. Und so gibt es viele Dinge, die sinnvoll sind und die unbedingt geübt werden sollten.
Das Üben bestimmter Dinge erfordert viel Zeit, Geduld, Einfühlungsvermögen und Empathie. Hundetraining bedeutet auch oft an seine eigenen Grenzen zu kommen, sich zu hinterfragen und an sich selbst zu arbeiten. Das ist nicht einfach. Denn es gibt Situationen, die einen sehr belasten und für die man eine möglichst schnelle Lösung benötigt. Und so kollidieren die eigenen Bedürfnisse ganz schnell mit denen des Hundes. Und dabei schließt das eine das andere oft gar nicht aus, wenn man erst einmal genauer darüber nachdenkt. Ich merke, dass vielen Hundebesitzern gar nicht klar ist, welche Bedürfnisse ihr Hund hat und dass Bedürfnisse nicht willentlich vom Hund gesteuert werden. Nein, vielmehr ist es ein Gefühl.
In der Psychologie wird Bedürfnis definiert als „Zustand oder Erleben eines Mangels, verbunden mit dem Wunsch ihn zu beheben“ oder als das Verlangen oder der Wunsch, einem empfundenen oder tatsächlichen Mangel Abhilfe zu schaffen.
Warum das so wichtig ist, dass wir uns dessen bewusst werden? Weil unsere Hunde in vielen Fällen gar keine andere Wahl haben, es sei denn, wir bieten ihnen eine Alternative, die für uns okay ist und das Bedürfnis des Hundes trotzdem befriedigt. Als Beispiel: Ein junger Hund rennt beim Anblick eines anderen Hundes sofort los und will mit diesem spielen. Für uns Hundebesitzer natürlich schwierig, da dies gefährlich sein kann - egal, ob der andere Hund nicht verträglich, eine Straße in der Nähe ist oder andere Menschen in der Nähe sind. Nun will uns unser Hund damit aber nicht ärgern, er hat einfach das Bedürfnis nach Sozialkontakt, körperlicher Bewegung und Spiel. Jetzt ist es an uns dieses Bedürfnis zu erkennen, die Situationen kleinschrittig mit dem Hund zu üben und bedürfnisorientiert zu belohnen, z.B. durch ein gemeinsames Spiel mit dem Besitzer, das viel Bewegung beinhaltet oder dem Signal, dass der Hund zum Artgenossen gehen darf.
Das Nicht-befolgen unserer Signale wird oft als Ungehorsam abgetan, was dem Hund schon von vornherein unterstellt, dass er uns willentlich ignoriert. Arbeiten wir mit Belohnungen (egal ob Leckerli, Spiel, Umweltbelohnungen oder einer Mischung aus Verschiedenem) müssen wir uns eines bewusst machen: Haben wir ein Signal gut geübt und befolgt der Hund dieses nicht, dann nimmt er seine Chance auf eine Belohnung, die wir ihm anbieten nicht wahr. Das kann verschiedene Gründe haben und ich meine aus meiner jahrelangen Hundetrainererfahrung sagen zu können, dass das in den seltensten Fällen mit "kein Bock" zu tun hat. Denn, baut man die Belohnungsmöglichkeiten aus, befriedigt man die Bedürfnisse seines Hundes, übt kleinschrittig genug unter steigender Ablenkung und nimmt ihm die Möglichkeit, das unerwünschte Verhalten zu wiederholen, dann hat der Hund keinen Grund unsere Signale nicht auszuführen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir unter guten Bedingungen mit unserem Hund üben können, sodass er überhaupt in der Lage ist das zu machen, was wir von ihm verlangen!
Fakt ist aber, dass der Hund immer einen guten Grund hat, warum er unsere Signale nicht befolgt. Leider passiert es schnell, dass wir in unserem Kopf nur einen einzigen Grund in Betracht ziehen - nämlich den, dass der Hund ungehorsam ist, uns missachtet oder uns ärgern will. Oft höre ich Worte wie "dickköpfig", "stur", "frech", "verzogen"... Und sofort wird dem Hund etwas unterstellt, das so vielleicht gar nicht stimmt, wenn man etwas länger darüber nachdenkt.
Gehen wir doch einfach einmal davon aus, dass der Hund es nicht mit Absicht und um uns zu ärgern macht. Gehen wir doch schlicht und einfach einmal davon aus, dass der Hund in bestimmten Situationen ganz bei sich ist, bei sich und seinen Bedürfnissen und Wünschen. Und gehen wir auch davon aus, dass wir ihm diese zugestehen und ihn als ebenbürdig betrachten. Mit gleichen Rechten wie wir. Wäre es dann nicht einfach möglich, dass er sich immer so entscheidet, wie es für ihn Sinn macht? Wäre es nicht möglich, dass sein Verhalten gar nichts mit uns zu tun hat und einfach die Befriedigung eines Bedürfnisses bedeutet? Kann es nicht auch sein, dass der Hund uns damit gar nicht ärgern will, gar nicht über sein Verhalten nachdenkt und Trieb einfach Verstand überlagert?
Unsere Hunde leben bei uns, weil es unsere Entscheidung war. Sie haben sich das nicht ausgesucht. Sie sind bei uns, weil wir es wollten. Sie passen sich an, leben mit uns friedlich zusammen, interagieren mit uns, akzeptieren Grenzen, lernen unglaublich schnell und nehmen uns nichts übel. Sie sind nicht nachtragend, nehmen vieles hin und leben mit unseren Launen. Wir erwarten viel von ihnen, erwarten, dass sie immer unsere Signale befolgen und das machen, was wir uns von ihnen wünschen. Aber befolgen wir denn die Regeln immer genau so, wie wir sie im Zusammenleben mit unseren Hunden aufstellen? Sind wir immer gut gelaunt und geben Signale immer so, dass der Hund sie ausführen kann? Sind wir jeden Tag bereit bestimmte Dinge zu tun, die von uns erwartet werden und dazu in der Lage?
Was wir unseren Hunden versprechen, wenn wir uns für ein Zusammenleben mit ihnen entscheiden, ist weit mehr als die Befriedigung der Grundbedürfnisse. Wir versprechen ihnen auch, dass wir ihren Charakter, ihre Art und ihre Bedürfnisse und Wünsche achten und Launen eben genauso akzeptieren wie sie bei uns auch vorkommen. Und wir haben dann dafür zu sorgen, dass niemand zu Schaden kommt und dass der Hund lernen KANN, mit bestimmten Situationen entspannt umzugehen. Damit das Zusammenleben gut funktioniert und damit jeder, der mit dem Hund zusammenlebt glücklich sein kann. Dazu müssen aber zuerst einmal wir lernen. Wir müssen lernen, wie wir uns unserem Hund mitteilen könne und wie wir Signale so aufbauen können, dass es für unseren Hund Sinn macht, diese auszuführen.
Wir haben unsere Hunde zu uns genommen, es war unsere Entscheidung. Es ist unsere Aufgabe unseren Hunden zu vermitteln, was wir von ihnen möchten, es ist unsere Aufgabe eine gemeinsame Sprache zu finden und es ist ebenfalls unsere Aufgabe zu lernen, uns zu hinterfragen und dem Hund die Möglichkeit zu bieten, Dinge die wir von ihm verlangen gerne umzusetzen. Denn letztendlich wollen wir, dass der Hund Dinge auf Signal ausführt, unsere Hunde wären sicher auch glücklich ohne "Kommandos".
Und betrachten wir all diese Dinge, die unsere Hunde täglich toll machen und all die Signale, die unsere Hunde befolgen, dann sollten wir dies wertschätzen! Es ist nämlich ganz und gar nicht selbstverständlich und für jeden einzelnen Hund eine große Leistung. Und jeder Hundehalter, der es schafft, die Bedürfnisse seines Hundes zu beachten, zu akzeptieren und respektieren, der kann sich glücklich schätzen und stolz auf sich sein, denn er hat es geschafft, seinem Hund eigene Wünsche zuzugestehen, ihn als gleichwertig zu betrachten und Seite an Seite mit ihm als Freund, nicht als Untertan durchs Leben zu gehen!